Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an kommunalen Prozessen und Entscheidungen
Pilotkommune Staßfurt
In Staßfurt im Salzlandkreis ist Kinder- und Jugendbeteiligung politisch gewollt. Die Stadt betreibt 12 offene Kinder- und Jugendeinrichtungen und gründete bereits 2015 einen Jugendbeirat. Nach gutem Start ging diesem jedoch die Luft aus. Als eine der fünf Pilotkommunen 2022 analysieren die Staßfurter den aktuellen Stand, testen weitere Methoden der Beteiligung und erarbeiten Handlungsstrategien, die langfristig im städtischen Kinder- und Jugendentwicklungskonzept verankert werden sollen. Die Fragen des Landeszentrums Jugend + Kommune beantwortete Stadtjugendpflegerin Jessica Krengel-Lienau.
Seit wann beschäftigt sich die Stadt Staßfurt damit, Kinder und Jugendliche besser zu beteiligen?
Sichtbar wurden die Bemühungen um mehr Kinder- und Jugendbeteiligung in Staßfurt 2015 mit dem Stadtratsbeschluss zur Gründung eines Jugendbeirates. Im selben Jahr wurde die Satzung beschlossen und das Gremium nahm seine Arbeit auf. Junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren, die sich im Jugendbeirat engagieren möchten, können sich bei der Stadt bewerben.
Wie ist die Situation zurzeit?
2017 bis 2019 hatte der Jugendbeirat von Staßfurt eine Vorbildfunktion im Salzlandkreis, es gab noch nicht viele Gremien dieser Art. Nach und nach sind jedoch Jugendliche ausgeschieden, z. T. wegen Ausbildung oder Studium an anderen Orten oder weil sie keine Zeit mehr hatten. Der Jugendbeirat ist ein bisschen eingeschlafen und die Corona-Pandemie tat ihr Übriges dazu.
Es wurde uns aber auch von Jugendlichen zurückgemeldet, dass die Strukturen zu starr sind. Die Kommunalpolitiker erwarten, dass sich die jungen Menschen in den Strukturen der Erwachsenen engagieren. Das hat die Motivation nach unten geschraubt. Die Kinder- und Jugendbeteiligung war aber immer wieder ein großes politisches Thema in Staßfurt. Mit Hilfe des Landeszentrums Jugend + Kommune soll sie neu belebt werden.
Warum möchten Sie junge Menschen überhaupt an Entscheidungen beteiligen?
Ein wichtiger Punkt ist der demografische Wandel. Staßfurt soll für junge Menschen wieder attraktiver werden. Mit der Geschichte als Salzstadt können sie nichts anfangen, sie haben nicht mehr erlebt, dass hier Salz abgebaut wurde. Wir brauchen etwas Neues, womit sie sich identifizieren können. Umso wichtiger ist es, junge Menschen zu beteiligen und sie von Anfang an in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Staßfurt soll eine Stadt sein, in der sich junge Menschen wohlfühlen, wo sie mitbestimmen können und wo sie gerne leben möchten.
Wie möchte Staßfurt die Jugendlichen besser einbeziehen?
Es besteht noch immer die Struktur des Jugendbeirates, diese Möglichkeit wollen wir für politisch interessierte Jugendliche offenhalten. Als niedrigschwelliges Angebot haben wir ein Beteiligungscafé gegründet. Dort können sich Kinder und Jugendliche einmal im Monat treffen, ins Gespräch kommen und vielleicht jemanden finden, der ähnliche Ideen hat und gemeinsam an einem Projekt arbeiten möchte. Dafür gibt es ein Projektbüro mit Computer, Konferenztisch, Beamer, Flip Charts, Methodenkoffer und Infomaterialien, das ausschließlich den Jugendlichen zur Verfügung steht. Beteiligungscafé und Projektbüro sind angegliedert an das Kinder- und Jugendzentrum in Staßfurt-Nord im Jugend- und Bürgerhaus mit über 20 Vereinen.
Unser Ziel im Pilotprojekt ist, dass wir uns konstruktiv mit den bestehenden Strukturen auseinandersetzen. Wir wollen Kinder- und Jugendbeteiligung und offene Kinder- und Jugendarbeit prüfen lassen, nicht von Erwachsenen, sondern von Kindern und Jugendlichen. Was wollen sie eigentlich? Wie kann es weitergehen? Sie sollen nicht etwas vordiktiert bekommen.
Wo liegen die größten Hürden?
Es gestaltet sich nach wie vor sehr, sehr schwierig, die Zielgruppe zu erreichen. Wir haben Kontakt zu den Schulen aufgenommen, in den offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen geworben, haben gezielt Schüler und Klassensprecher angesprochen, sind auf Stadtfeste gegangen, haben Flyer und Plakate gemacht, Jugendliche direkt angeschrieben – aber bisher gibt es relativ wenig Resonanz. Immer wieder ein Thema sind Social Media und Internetpräsenz. Das ist zum einen wegen der Datenschutzhürden schwierig, zum anderen ist dieser Bereich extrem schnelllebig. Wir haben darüber im Jugendbeirat gesprochen und mit jungen Menschen, die gerade in die Ausbildung gegangen sind. Sie wissen selber nicht, wie sie andere in ihrem Alter erreichen und zum Mitmachen motivieren können.
Unsere Erfahrung ist auch, dass Beteiligung nicht als Chance von den Jugendlichen wahrgenommen wird, eigene Ideen einzubringen und etwas zu bewirken, sondern eher als zusätzliche Aufgabe. Bei einer Umfrage unter Kindern und Jugendlichen von 6 bis 27 Jahren haben wir festgestellt, dass über Kinder- und Jugendrechte überhaupt kein Wissen da ist. Sie haben also gar nicht die Grundvoraussetzungen, um ihre Rechte einzufordern.
Wie können die Hürden gemeistert werden?
Wir haben ganz viele Erkenntnisse gesammelt und wissen jetzt ein bisschen besser, wie Beteiligung funktionieren kann oder auch nicht. Wir versuchen neue Wege, um die Jugendlichen besser zu erreichen, indem wir uns gezielt auf ein oder zwei Projekte konzentrieren. Dazu sind wir im Austausch mit den Kinder- und Jugendeinrichtungen, um herauszufinden, welches Thema gerade aktuell ist. Es muss einen direkten Erfolg für die jungen Leute geben. Bei der Umfrage haben wir gemerkt, dass sie eigentlich Lust haben, sich zu beteiligen, aber eher sporadisch als dauerhaft in einer festen Struktur.
Was sind die nächsten Ziele?
Wir haben uns vorgenommen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen dafür zu sensibilisieren, dass Kinder- und Jugendbeteiligung dauerhaft und immer wieder thematisiert werden muss. Langfristig wollen wir mit Weiterbildung schon in die Kitas gehen, weil wir das Gefühl haben, dass das Grundwissen fehlt, was ein Kind für Rechte hat. Wenn die Kinder mit ihren Rechten aufwachsen sind sie irgendwann auch in der Lage, sie einzufordern.
Außerdem machen wir die Erfahrung, dass Kinder- und Jugendbeteiligung oft als alleinige Aufgabe der Jugendarbeit gesehen wird. Es ist aber eine Querschnittsaufgabe der Verwaltung. Jeder muss in seinem Arbeitsbereich Kinder und Jugendliche beteiligen. Wir denken an eine Informationsveranstaltung für die Verwaltung mit dem Landeszentrum Jugend + Kommune.
Was kann die Kommune durch intensivere Beteiligung junger Menschen gewinnen?
Wir erhoffen uns, dass Staßfurt kinder- und jugendfreundlicher wird, dass Kinder und Jugendliche eine Verbindung zu ihrem Heimatort, zu ihrem Sozialraum aufbauen und später hierbleiben. Es ist ein Gewinn, wenn Projekte der Stadt für Kinder und Jugendliche nicht an ihren Bedürfnissen vorbeigeplant werden, sondern mit ihnen gemeinsam. Dann werden sie auch angenommen.
Haben Sie einen Rat für andere Kommunen, die sich auf diesen Weg begeben?
Die Erwachsenen sollten ihre Erwartungen an die Kinder und Jugendlichen herunterschrauben und ihnen nicht ihre engen politischen Strukturen vorgeben. Mit dem Jugendbeirat sind wir in Staßfurt von 0 auf 100 gegangen und von allen Seiten waren die Erwartungen enorm hoch. Da wird immer vergessen, dass eine Schulwoche für Kinder und Jugendliche denselben Stellenwert hat wie eine Arbeitswoche für Erwachsene. Wichtig sind Kommunikation auf Augenhöhe, Freiräume, damit sie sich entfalten können und ein verlässlicher Ansprechpartner, bei dem sie sich wohlfühlen. Und man sollte sich auch über kleine Erfolge freuen.