Gemeinde Muldestausee – Jugendgemeinderat

Die Gemeinde Muldestausee im Landkreis Anhalt-Bitterfeld mit ca. 12.000 Einwohnerinnen und Einwohnern war 2018 Pilotkommune des Landeszentrums Jugend + Kommune. Der 2017 gegründete Jugendgemeinderat konnte sich dadurch festigen, erste Aktionen anschieben und auf sich aufmerksam machen. Zum „Eisbrecherprojekt“ wurde eine generationenübergreifende Freizeitanlage, deren Verwirklichung sich über zwei Wahlperioden erstreckte. Dennoch blieben die Jugendlichen bei der Stange. Einblicke in eine Erfolgsgeschichte.

Seit wann beschäftigt sich die Gemeinde Muldestausee damit, Kinder und Jugendliche besser zu beteiligen?

2017 trat Ferid Giebler zur Wahl als Bürgermeister der Gemeinde Muldestausee an. Zu seinen Zielen gehörte die Entwicklung einer jugendfreundlichen Gemeinde. Als frisch gewählter Bürgermeister trieb er die Gründung einer Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche in der Gemeinde Muldestausee voran. Noch im selben Jahr wurde der Jugendgemeinderat gegründet, der erste seiner Art im Landkreis Anhalt-Bitterfeld.

Warum wollen Sie die Beteiligung junger Menschen stärken?

Bis zur Gründung des Jugendgemeinderates gab es keine Strukturen, um junge Menschen zu beteiligen. Entsprechend gering waren ihr politisches Interesse und ihr Einfluss auf Entscheidungen, die sie direkt betreffen. Wir möchten, dass junge Menschen gerne in unserer Gemeinde leben und sich einbringen. Muldestausee hat als ländliche Kommune eine hohe Abwanderung junger Menschen, attraktive Städte wie Leipzig und Halle liegen in unmittelbarer Nähe. Erfolgreiche Jugendarbeit kann ein wichtiger Haltefaktor sein. Wenn Kinder und Jugendliche erleben, dass ihre Stimme gehört wird und dass sie etwas erreichen können, identifizieren sie sich stärker mit ihrem Lebensumfeld. Sie engagieren sich hoffentlich später auch eher im Ortschafts- oder Gemeinderat. Diese Gremien brauchen Nachwuchs.

Welche Strukturen für die Kinder- und Jugendbeteiligung sind entstanden?

In unseren Jugendgemeinderat können laut Satzung mindestens fünf, maximal 13 junge Menschen im Alter von 12 bis 26 Jahren gewählt werden. Eine Wahlperiode dauert drei Jahre. Vorsitzender ist Bürgermeister Ferid Giebler, er hat jedoch kein Stimmrecht. Der Jugendgemeinderat verfügt über Antrags- und Rederecht in Ortschafts- und Gemeinderäten sowie über ein jährliches Budget von 6000 Euro. Das Geld kann er für eigene Ideen ausgeben, damit aber auch Projekte von jungen Menschen in der Gemeinde unterstützen. Seit Oktober 2021 steht dem Gremium eine Jugendsozialarbeiterin zur Seite. Die Stelle entstand auf Antrag des Jugendgemeinderates und wird mit Mitteln des Landkreises kofinanziert. Die Jugendsozialarbeit versteht sich als Bindeglied zwischen Jugendgemeinderat, Verwaltung, Gemeinderat und Ortschaftsräten. Mindestens einmal im Quartal wird eine öffentliche Sitzung des Jugendgemeinderates vorbereitet. Dazwischen treffen sich die Jugendlichen nach Bedarf.

Wie ist die Gemeinde beim Aufbau des Jugendgemeinderates vorgegangen?

Dahinter steckt sehr viel persönlicher Einsatz von Bürgermeister Ferid Giebler. Er ist bei jeder Gelegenheit direkt auf die Jugendlichen zugegangen und hat in den Schulen offensiv für eine eigene Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen geworben. Dort lagen auch Flyer aus. Der Bürgermeister bereitete gemeinsam mit der Verwaltung auch die erste Wahl 2017 vor. 27 Jugendliche zwischen zwölf und 25 Jahren ließen sich dafür als Kandidaten aufstellen. Die mehr als 1000 Wahlberechtigten bekamen die Unterlagen per Post zugesandt. Knapp 29 Prozent von ihnen gaben ihre Stimmen bei der reinen Briefwahl ab. Ab der zweiten Wahlperiode 2020 ist der amtierende Jugendgemeinderat in Abstimmung mit der Gemeindeverwaltung für die Wahlen zuständig.

Wo lagen die größten Hürden und wie konnten sie gemeistert werden?

Es gab Widerstand von einigen Gemeinderatsmitgliedern, die dem Jugendgemeinderat z. B. kein Antrags- und Rederecht und kein Budget einräumen wollten. Manche Ältere in der Gemeinde trauten der Jugend eine eigene Interessenvertretung offensichtlich nicht zu. Auch die Finanzierung war anfangs problematisch. Es war zunächst kein Geld im Haushalt eingeplant und es ist ein großes Hindernis, dass Jugendarbeit als freiwillige Leistung gilt.

Geholfen hat die Unterstützung des Landeszentrums Jugend + Kommune, mit dem wir weiterhin zusammenarbeiten. 2018 gehörte die Gemeinde Muldestausee zu den Pilotkommunen. Mit dem Fördergeld konnten Workshops zur Qualifizierung, eine Befragung zur Zufriedenheit der jungen Menschen in der Gemeinde und erste Vorhaben wie Kinoabende und ein Graffitiprojekt umgesetzt werden. Auch eine eigene Website für den Jugendgemeinderat ist entstanden.

Mit dem Bürgermeister, der in allen politischen und verwaltungstechnischen Aspekten hinter dem Jugendgemeinderat steht, haben die Jugendlichen eine starke Unterstützung. Beweisen müssen sie sich jedoch selbst. Das tun sie mit Ideen und Einsatz, kleinen und großen Erfolgen. Sie haben gelernt, sich nicht so schnell unterkriegen zu lassen, sind in der Gemeinde sehr präsent und trotz der großen Altersspanne von zurzeit 14 bis 21 Jahren ein gutes Team. Alle geben, was sie können, um ihre Ziele zu erreichen. Es gibt sicher auch immer wieder Menschen, die ihr Engagement belächeln und versuchen, ihnen Steine in den Weg zu legen. Inzwischen ist der Jugendgemeinderat jedoch allgemein anerkannt. Manche Gemeinderäte brüsten sich nun sogar mit den engagierten jungen Leuten.

Welche Themen haben die jungen Leute angepackt?

Größtes Projekt ist die generationenübergreifende Freizeitanlage in Pouch mit Skaterbahn und Cross-Fitness-Anlage. Die Idee kam von den Jugendlichen. An der Umsetzung waren viele kommunale Bereiche beteiligt und die jungen Leute haben erfahren, wie zäh Verwaltungsstrukturen sein können. Die Sitzungen dauerten manchmal bis 23.00 Uhr und von den ersten Ideen 2017 bis zur Freigabe der Cross-Fitness-Anlage im Dezember 2021 vergingen etwa vier Jahre. Trotzdem hat der Jugendgemeinderat die Lust nicht verloren. Vor allem durch eine spektakuläre Spendenwette mit Bürgermeister Ferid Giebler sorgten die Jugendlichen für regionale und überregionale Aufmerksamkeit und sammelten den nötigen Eigenanteil der Gemeinde von etwa 70.000 Euro ein, damit das Projekt über LEADER gefördert werden konnte. Als die ersten 5000 Euro beisammen waren, erschien der Bürgermeister im Batman-Kostüm in der Gemeinderatssitzung, für weitere Etappenziele reinigte er Gullys, mistete Schweineställe aus und badete im eiskalten Baggersee.

In der Freizeitanlage ist immer was los. Kinder und Jugendliche aus den 13 Ortschaften der Gemeinde, die sich bisher nie getroffen haben, finden dort neue Freunde. Coole Skater aus Leipzig zeigen vierjährigen Anfängern ihre Tricks. Erwachsene aller Altersstufen nutzen die Fitnessgeräte. Beim Bürgerfest zur offiziellen Einweihung im Mai 2022 mit Skatecontest, Graffiti-Künstler und DJs war auch die Seniorensportgruppe dabei. Wir hätten selber nicht gedacht, dass die Freizeitanlage so gut ankommt und auch Besucher aus den umliegenden Städten anzieht.

Der Jugendgemeinderat hat sich in der Gemeinde aber auch schon um Wände für Graffitis, Wetterschutzhütten für Spielplätze und Ballfangnetze für einen Bolzplatz gekümmert, beteiligt sich an Ferienprogrammen und Müllsammelaktionen und stellt eine Staffel beim Goitzsche-Marathon. Außerdem ist die Verkehrsinfrastruktur ein Thema, das die jungen Menschen bewegt.

Wie gelingt es Ihnen, junge Menschen zu erreichen?

Entsprechend der Art, wie sie heute kommunizieren, läuft vieles online, vor allem über WhatsApp oder Instagram. Genauso wichtig ist es aber auch, dorthin zu gehen, wo Kinder und Jugendliche sind, z. B. zu Freizeitangeboten in den Schulen und zu ihren Treffpunkten in den Ortschaften, um sie persönlich anzusprechen. Wer meckert, bekommt auch schon mal den Hinweis, sich doch 2023 als Kandidat für den nächsten Jugendgemeinderat aufstellen zu lassen. Entscheidend im Umgang miteinander ist es, echt und authentisch zu bleiben. Jugendliche merken sofort, wenn man sich verstellt.

Was hat die Kommune durch die intensivere Beteiligung junger Menschen gewonnen?

Frischen Wind und Ideen, auf die man selbst nicht kommt. Das politische Interesse, die Zufriedenheit bei der jüngeren Bevölkerung und die Identifizierung mit dem Lebensumfeld sind gewachsen. Jugendliche aus dem Gemeinderat haben z. B. gesagt, dass sie die Freizeitanlage später mal ihren Kindern zeigen wollen. Außerdem hat unser Jugendgemeinderat eine Vorbildfunktion, auch über den eigenen Landkreis hinaus. Wir wurden schon öfter von anderen Gemeinden um Rat gefragt, wenn es um die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen geht.

Was sind die nächsten Ziele?

Vor allem anderen, dass der Jugendgemeinderat weiter besteht und wir Nachwuchs gewinnen. 2023 wird für drei Jahre neu gewählt. Wir werben bereits um neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Attraktive Vorhaben wollen fortgesetzt werden. Auf der Freizeitanlage in Pouch fehlen noch Bänke zum Verweilen, ein Kletterfelsen für kleinere Kinder und eine Wetterschutzhütte.  Aufgrund des Erfolges mit dieser Anlage wird es zwei Folgeprojekte in den Ortschaften Schlaitz und Mühlbeck/Friedersdorf geben. Außerdem sollen Kinoabende und Graffiti-Projekte weiterlaufen.

Haben Sie einen Rat für andere Kommunen, die sich auf diesen Weg begeben?

Die Jugendlichen persönlich ansprechen, sie motivieren, sich nicht abwimmeln lassen und sie unterstützen. Mit öffentlichen Aufrufen allein funktioniert es nicht. Und wenn dann ein Jugendgremium gegründet wird, müssen seine Mitglieder auch Rechte bekommen (Rederecht, Antragsrecht), ein Budget, Aufwandsentschädigungen – bei uns wird der Jugendgemeinderat genauso wie der Gemeinderat behandelt. Die jungen Menschen wollen Verantwortung übernehmen. Das heißt jedoch nicht, dass nach der Gründung eines Gremiums alles von allein läuft. Es muss eine feste Ansprechperson in der Verwaltung geben, jemanden, der den Weg durch den kommunalen Verwaltungsdschungel weist und der auch dranbleibt, wenn es mal nicht so gut läuft. Und nicht vergessen: Junge Menschen sind nicht irgendeine andere Spezies, wir waren alle mal Jugendliche.

Weitere Informationen unter: www.jugendgemeinderat-muldestausee.de