Grüne Lunge: #Deine Meinung zählt
Mit dem Projekt Mehrgenerationenareal „Grüne Lunge“ gehörte Bitterfeld-Wolfen 2022 zu den Pilotkommunen. Bei der weiteren Gestaltung der innerstädtischen Parkanlage im Ortsteil Stadt Bitterfeld wird auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen besonderer Wert gelegt. In einer Umfrage und in Workshops holten sich die Stadt Bitterfeld-Wolfen und ihr Jugendbeirat ein Meinungsbild von den jungen Menschen. Dadurch erlebte auch die Jugendvertretung einen Motivationsschub. Die Fragen des Landeszentrums Jugend + Kommune beantwortete Stadtjugendpflegerin Oxana Reidel-Rostalsky.
Seit wann beschäftigt sich Bitterfeld-Wolfen damit, Kinder und Jugendliche besser zu beteiligen?
Kinder- und Jugendbeteiligung hat eine lange Tradition in Bitterfeld-Wolfen. Schon 1997 gab es den „Kinderstadtplan“, 1999 die „Europa-Kinderstadt“. Bei beiden Projekten ging es um die Vorstellungen, Ideen und Meinungen der Heranwachsenden. 2000 wurde ein Kinder- und Jugendparlament gegründet, das sich leider nicht etablieren konnte, und seit 2014 gibt es einen Jugendbeirat.
Warum möchte die Kommune junge Menschen überhaupt an Entscheidungen beteiligen?
Wenn wir die Kinder und Jugendlichen nicht nach ihren Vorstellungen fragen, fühlen sie sich nicht erwünscht. Ich höre oft die Meinung: Was soll man denn für sie tun, die machen doch sowieso alles kaputt. Andererseits sollen die jungen Leute nicht wegziehen. Wir möchten ihnen eine Stimme geben und die Möglichkeit, selbst Lösungsansätze zu entwickeln. Wenn wir mit Kindern und Jugendlichen zusammen etwas gestalten und sie sehen, was entstanden ist, dann stärkt das auch ihre soziale Verantwortung.
Wie war die Ausgangssituation in Bitterfeld-Wolfen bei der Bewerbung als Pilotkommune?
Zum einen wurde seit längerer Zeit in den städtischen Gremien und in der Zivilgesellschaft über die Aufwertung der „Grünen Lunge“ diskutiert. Die Parkanlage im Zentrum des Ortsteils Stadt Bitterfeld soll für alle Generationen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, zu einem attraktiven Areal umgestaltet werden. Eine Streetsocceranlage, einen Kinderspielplatz und eine Fitnessanlage gibt es bereits. Das Angebot wird super angenommen, aber das bringt auch soziale Spannungen mit sich. Vor allem der Geräuschpegel im Park ist stark angestiegen. Auf der anderen Seite haben wir einen Jugendbeirat, um den es während der Corona-Pandemie ziemlich ruhig wurde und der schon länger nach einer neuen Aufgabe suchte. Aus dieser Situation entstand das gemeinsame Projekt „#Deine Meinung zählt“, um die „Grüne Lunge“ gemeinsam mit jungen Menschen weiter zu gestalten, und zwar so, dass das Konfliktpotenzial minimiert wird.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir haben niedrigschwellig angefangen und einfach die Kinder und Jugendlichen befragt. Wir wollten z. B. wissen, wie oft sie in der „Grünen Lunge“ unterwegs sind, was ihnen gefällt, was sie stört, ob sie dort schon mal Probleme hatten und was sie sich wünschen. Dank der Pilotförderung konnten wir mit einer Marketingfirma aus Wolfen zusammenarbeiten. Als ortsansässiger Partner hat sich das Unternehmen für das Thema begeistert und uns sehr unterstützt. Entstanden sind u.a. ein Logo, das wir auch über das Projekt hinaus verwenden können, Flyer, Postkarten und Aufkleber mit einem QR-Code, der zur Online-Umfrage führte, und T-Shirts für den Jugendbeirat.
Ergänzend zur Umfrage haben wir in Schulen und Jugendclubs Workshops veranstaltet, denn wir wollten tatsächlich mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen. Dabei sind Wünsche präzisiert worden und weitere Ideen entstanden.
Wie gelingt es Ihnen, die jungen Menschen zu erreichen?
Unsere Erfahrung ist, dass wir sie am besten über den persönlichen Kontakt erreichen. Unser Streetworker geht regelmäßig zu den Jugendlichen. Wenn er ihr Vertrauen gewonnen hat, kann er sie auch in den Jugendclub einladen. Aber nur mit einer Einladung irgendwohin erreicht man sehr wenig.
Die Fragebögen für unsere Umfrage haben wir einerseits mit Hilfe von Lehrern und Schulsozialarbeitern an Schulen, in Jugendclubs und an öffentlichen Stellen verteilt. Einen Teil der Umfrage haben die Stadtjugendpflegerin und der Streetworker aber auch persönlich durchgeführt. Bei den Workshops und Diskussionen in den Schulen und Jugendclubs ging es manchmal ziemlich emotional zu. Einige Jugendliche waren richtig bewegt davon, dass jemand kommt und sie nach ihrer Meinung fragt. Wir haben 778 Fragebögen zurückbekommen, fast 90 Prozent von den 11- bis 18-Jährigen.
Natürlich hat der Jugendbeirat einen Instagram-Account und nutzt WhatsApp, die Stadt ist auf Facebook, aber wenn du im T-Shirt vom Jugendbeirat vor Ort bist, ist das eine ganz andere Wahrnehmung.
Wo lagen die größten Hürden?
Die größte Herausforderung war die zeitliche Abwicklung. Von der Bekanntgabe der Pilotkommunen Mitte April 2022 bis zum 31. Dezember 2022 war der Zeitplan sehr eng getaktet. Die Sommerferien lagen auch noch dazwischen. Wir haben ein zu großes Projekt für einen zu kleinen Rahmen geplant. Und wir sind personell sehr dünn besetzt. Aber es ist trotzdem eine sehr gute Grundlage für die weitere Arbeit entstanden.
Wo stehen Sie heute?
Der Grundstein ist gelegt, die Vorarbeit geleistet, wir haben Partner gewonnen und mit der Umsetzung angefangen. Von den Jugendlichen wurden einerseits Ideen zur Freizeitgestaltung geäußert wie sportliche Turniere und Graffiti-Workshops – dafür sind Fördermittel für 2023 beantragt. Andererseits gibt es Ideen und Wünsche, die Baumaßnahmen und weitere Abstimmungen erfordern, zum Beispiel ein größerer Spielplatz, ein Skaterpark oder ein Trimm-Dich-Pfad in der „Grünen Lunge“. Dazu bleiben wir im Gespräch.
Unser Jugendbeirat ist durch „#Deine Meinung zählt“ zusammengewachsen und hat genug Motivation, weiterzumachen. Schon ein Jahr vor der Wahl des neuen Beirates 2023 konnten wir weitere Ehrenamtliche dafür gewinnen. Sie hatten sich an Workshops beteiligt und wollen dranbleiben.
Durch das Projekt erfuhren wir außerdem von aktuellen Problemen der jungen Menschen. Einige Mädchen erzählten zum Beispiel von Belästigungen. Wir haben sie aufgesucht, Kontakte geknüpft und Informationsmaterial verteilt. Gemeinsam mit dem Frauenzentrum planen wir einen Mädchentag in der „Grünen Lunge“, bei dem wir auch darüber sprechen wollen, was man gegen Belästigung tun kann.
Was gewinnt die Kommune durch die intensivere Beteiligung junger Menschen?
Viele Ideen, die man sich selbst nicht mehr ausdenken muss – die Grundlage für die Arbeit. Seit die jungen Menschen nach ihrer Meinung gefragt wurden, ist ihre Motivation, sich zu beteiligen, gestiegen. Selber etwas tun zu können motiviert viel mehr, als nur im Stadtrat zu sitzen, zuzuhören und nicht einmal Rederecht zu haben.
Was sind die nächsten Ziele?
Wir wollen eine ähnliche Umfrage auch in anderen Ortsteilen durchführen. Workshops mit Jugendlichen hatten wir während des Pilotkommunen-Projekts auch in drei Ortsteilen, u.a. in Wolfen. Dort gibt es eine Sekundarschule und wir möchten, dass auch diese Kinder die Möglichkeit bekommen, sich zu äußern.
Haben Sie einen Rat für andere Kommunen, die sich auf diesen Weg begeben?
Einfach anfangen, dranbleiben und sich mittragen lassen von der ganzen Sache. Wenn man die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen wirklich möchte, kann man nur gewinnen.