Stadt Wolmirstedt

In Wolmirstedt (Landkreis Börde) gibt es seit Dezember 2020 offiziell einen Jugendbeirat. Nachdem der erste Anlauf zur Gründung eines solchen Gremiums, vorgeschlagen von einem Stadtratsmitglied, scheiterte, trieben engagierte junge Menschen die Sache voran. „Wie kommen Sie auf die Idee, die Jugendlichen in Wolmirstedt hätten kein Interesse daran?“, fragte Mitgründer Marten Ole Spelsberg den Wolmirstedter Stadtrat und inspirierte weitere Mitstreiter, die wiederum andere überzeugten. Inzwischen steht der Jugendbeirat mit 11 Mitgliedern auf einer festen Basis. Die Fragen des Landeszentrums Jugend + Kommune beantworteten Simon Reidenbach, Sascha Rustenbach und Ole Marten Spelsberg.

Warum braucht Wolmirstedt einen Jugendbeirat?

Das ist eine Frage, die man auf alle Kommunen ausweiten kann. Politik, und gerade junge Politik, muss jungen Menschen nahbar und verständlich erklärt werden, damit sie politisches Interesse entwickeln. Das sehen wir als eine unserer Aufgaben. In den Gemeinden kann man die Jugendlichen das erste Mal abholen, bestenfalls fühlen sie sich mit ihrer Ortschaft verbunden. Wenn junge Menschen nicht lernen, dass es wichtig ist, sich zu beteiligen und dass sie etwas erreichen können, dann werden sie das zukünftig auch nicht tun. Wolmirstedt hat drei Schulen: eine Gesamtschule, eine Realschule und ein Gymnasium und ist deshalb für Jugendliche aus der Umgebung ein attraktiver Standort. Wir bieten als junge Menschen anderen Jugendlichen die Möglichkeit, mit ihren Anliegen zu uns zu kommen und geben der Jugend eine Stimme in der politischen Entscheidungsfindung. Politik wird überwiegend von älteren Menschen gemacht. Wo sollen da die Interessen von Jugendlichen einen Platz finden? Ein Jugendbeirat mit seiner beratenden Aufgabe ist die beste Möglichkeit.

Wie ist der Jugendbeirat in Wolmirstedt entstanden?

Ein Stadtratsmitglied hatte 2019 die Idee. Aus unserer Sicht lief dann aber die Werbung dafür bei den Jugendlichen falsch. Es gab einen nicht sehr ansprechenden Aushang, eine A4-Seite, im Jugendclub und im Infokasten der Stadt. Daraufhin meldete sich niemand. So entstand wohl der Eindruck, junge Menschen in Wolmirstedt hätten kein Interesse an einem Jugendbeirat und das Vorhaben wurde vom Stadtrat abgelehnt. Jugendliche kommunizieren aber anders, vor allem digital. Zwei unserer heutigen Kernmitglieder erfuhren von der Idee und warben vor allem durch persönliche Gespräche weitere Mitglieder für das Vorhaben an. Noch 2019 bildete sich eine Gruppe von sechs Leuten, die intensiv am Thema arbeiteten und den Austausch mit dem Stadtrat suchten. Unterstützung kam von zwei Stadtratsfraktionen (vor allem freie Wählergemeinschaften und rot-rot-grün). Wir haben diese Fraktionen auch gebeten, Anträge hinsichtlich der Gründung des Jugendbeirates in den Stadtrat einzubringen. Nach langen Kämpfen wurde der Jugendbeirat am 14. Dezember 2020 einstimmig im Stadtrat beschlossen.

Welche Hürden gab bzw. gibt es?

Leider war die Verwaltung bei der Gründung des Jugendbeirates nicht immer so kooperationsbereit, wie wir es uns gewünscht hätten. Nachdem wir im Stadtrat Unterstützung von der Mehrheit fanden – konservative Parteien stellen sich tendenziell eher gegen uns – bekam die Verwaltung den Auftrag, uns bei der Erarbeitung einer Satzung und einer Geschäftsordnung zu helfen.  Bei den ersten Treffen wurde wieder darüber diskutiert, ob es überhaupt einen Jugendbeirat geben soll.

Die fertige Satzung wurde dann erst mit Verzögerung in den Stadtrat eingebracht und auch erst mehrere Monate nach dem Beschluss im Satzungsverzeichnis eingetragen. Allgemein ist zu sagen, dass der Jugendbeirat Wolmirstedt vieles selbst erarbeitet und gestaltet hat.

Das grundlegende Problem des Jugendbeirates ist nicht, dass es keine Jugendlichen gibt, die sich dafür interessieren würden, sondern eher, dass kein Konzept für ein funktionierendes Jugendgremium vorhanden ist. Damals wurde rein rechtlich gesehen eine Satzung und Geschäftsordnung erstellt, die unsere „Existenz“ sicherstellt. Weiterführende Fragen wurden seitens der Stadträte und Verwaltung nicht geklärt. Beispielsweise wie man die Kinder- und Jugendlichen richtig anspricht, anwirbt, motiviert, pädagogisch begleitet, etc.

Die Verwaltung sagt zu uns, der Stadtrat muss es machen und der Stadtrat sagt, die Verwaltung muss es machen. Vieles ist nicht geregelt, dadurch entstehen Konflikte. Das ist schade, aber wir bleiben trotzdem dran und beheben sie Stück für Stück.

Was hat geholfen bzw. hilft dabei, die Schwierigkeiten zu meistern?

Wir waren einfach nervig, haben immer wieder gefragt, sind in die Stadtratssitzungen gegangen. Das reine physische Erscheinen reicht teilweise schon, um zu überzeugen. Wenn bei einer Abstimmung über die Satzung auf einmal neun Jugendliche auf den Zuschauertribünen sitzen, wo vorher nie irgendwelche Einwohner saßen, dann hat das schon was zu bedeuten. Wir sind sehr froh darüber, dass der Rückhalt bei einer Mehrheit im Stadtrat weiterhin vorhanden ist. Zwei Fraktionen im Stadtrat stehen weiterhin hinter uns.

Sehr wichtig ist, dass wir im Kontakt mit anderen Jugendgremien sind, z. B. in Bitterfeld-Wolfen, Aken, Muldestausee, Gardelegen, mit Jugendforen in Stendal, in Burg, in Halle. Innerhalb von Sachsen-Anhalt und im Landkreis Börde gibt es eine sehr hohe Solidarität, sich auch gegenseitig zu unterstützen. Das ist eine ganz wichtige und tolle Sache. Wir haben ein Ziel, das uns alle zusammenschweißt und wir arbeiten im Team konstruktiv zusammen, obwohl wir politisch durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten.

Wie arbeitet das Jugendgremium?

Es gibt zwei unabhängig voneinander arbeitende Gruppen. Die eine Gruppe befasst sich mit Verfahrenstechniken und Verwaltungsaufgaben, kümmert sich um Vorlagen, Anträge, Förderanträge, Statistik…  Wir haben eine hohe Selbstverwaltung. Die andere Gruppe ist für kreative Arbeiten und die Social-Media-Präsenz zuständig. Ausgearbeitete Projekte werden dann im gesamten Gremium besprochen.

Mitglieder des Jugendbeirates nehmen regelmäßig an den Sitzungen des Kultur- und Sozialausschusses, des Hauptausschusses und des Stadtrates teil. Im Kultur- und Sozialausschuss, der die Jugend stark betrifft, hat der Jugendbeirat mittlerweile ein inoffizielles Rederecht. Wir werden gehört, unsere Meinung wird berücksichtigt. Das ist etwas, worauf wir auch stolz zurückblicken, weil wir uns das erkämpft haben, viel Engagement zeigen mussten und erstmal beweisen, dass es diesen Jugendbeirat gibt und dass der auch ein Interesse daran hat, mitzuwirken.

Neben unserer politischen Tätigkeit machen wir mit Aktionen auf uns aufmerksam. Wir haben z. B. im Februar 2021 beim Schnee schippen am Rathaus und beim Wasserverband geholfen, als einige Schneemobile ausgefallen waren. Im Sommer sind wir an der Ohre Müll sammeln gegangen. Ende 2022 wollen wir an einem Infostand beim Schulfest der Gutenbergschule, einer Gesamtschule mit großem Potenzial, spielerisch unsere Arbeit vorstellen.

Welche Themen sind Ihnen wichtig?

Wir wollen die kommunale Politik in Wolmirstedt dynamischer, zugänglicher und verständlicher gestalten, Neuheiten einbringen und Jugendgremien deutschlandweit vernetzen, weil viele Jugendliche sich nicht gehört fühlen und sich deshalb gar nicht erst mit Politik befassen. Der Jugend gehört die Zukunft, deshalb sollte sie auch ein Mitspracherecht haben. Außerdem beschäftigen wir uns grundsätzlich mit Themen wie dem Klimawandel, mit außerschulischen Angebotsmöglichkeiten und dem allgemeinen Stadtbild Wolmirstedts.

Was funktioniert besonders gut?

Der Zusammenhalt untereinander und die Zusammenarbeit funktionieren sehr gut. Diskussionen laufen sehr bedacht und sachlich ab. Wir treffen uns regelmäßig und es gibt eine feste Arbeitsstruktur, auf die wir stolz sein können. Bei den Treffen wird auch gerne gelacht und die Stimmung ist keineswegs angespannt, sondern locker. Wir lassen den Ideen freien Lauf. Wir sehen, wie wir etwas verändern können, das spornt uns an, weiterzumachen.

Fühlt sich der Jugendbeirat in Wolmirstedt gehört, unterstützt und ernst genommen?

Definitiv finden wir Rückhalt in der Stadt. Wir haben eine Umfrageunter mehr als 700 Jugendlichen zu verschiedenen Themen gemacht und auch gefragt, ob sie einen Jugendbeirat wichtig finden. Über 60 Prozent antworteten mit „ja“ oder „eher ja“, nicht einmal 10 Prozent sagten klar, dass es ist ihnen nicht wichtig ist. Das zeigt ziemlich deutlich, dass ein Interesse in größerem Maße vorhanden ist. Die Zusammenarbeit mit den Schulen funktioniert auch gut, wir finden Unterstützung im Stadtrat und im Kultur- und Sozialausschuss erhält unsere Stimme mittlerweile eine gewisse Wichtung. Allgemein können wir sagen, wir fühlen uns gehört, auch wenn wir das eine oder andere Mal auf den Tisch hauen müssen, um auf uns aufmerksam zu machen. Seitens der Verwaltung lässt die Unterstützung allerdings zu wünschen übrig. Wir werden eher als „Aktionismus-Vereinigung“ fürs Image gesehen und fühlen uns als politisches Gremium nicht ernst genommen. Auch wenn wir weiterhin einzelne Aktionen und Projekte vorhaben, liegt unser Hauptaugenmerk auf der politischen Arbeit.

Was muss besser werden?

Die Zusammenarbeit mit der Verwaltung muss sich definitiv verbessern. Außerdem kämpfen wir für ein eigenes Budget. Momentan müssen wir für alle Arbeitsmaterialien in Vorkasse gehen und können das dann nachträglich über den Jugendclub e.V. Wolmirstedt abrechnen. Wie allerdings der Jugendkreistag beweist, ist ein eigenes Budget deutlich besser für die allgemeine Arbeit, um z. B. auch Bildungsreisen oder Infostände zu organisieren. Zusätzlich hoffen wir, einen festen Büroraum zu bekommen, den unsere Mitglieder für Besprechungen und Arbeitstreffen nutzen können.

Wie sehen die nächsten Ziele und Vorhaben aus?

Momentan ist die Datenerhebung und Auswertung unserer erwähnten Umfrage unter den Jugendlichen ein großes Thema in unserem Verwaltungsteam und wird noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Am Ende soll sich ein allgemeines Stimmungsbild zu Themen und Bereichen ergeben, die Jugendliche direkt betreffen. Das ist eine Menge Arbeit. So etwas machen normalerweise Unternehmen für sehr viel Geld, während wir diese Tätigkeit ehrenamtlich übernehmen.

Wir haben ein Konzept für einen Generationen-Spielplatz entworfen und in den Kultur- und Sozialausschuss eingebracht. Dazu soll es wohl seitens der Stadt eine Bedarfsermittlung geben.

Wir kämpfen gerade darum, dass wir ins System der Stadtverwaltung aufgenommen werden und auch Informationen zu wichtigen Vorhaben erhalten.

Eine wesentliche Aufgabe ist immer noch, Strukturen zu schaffen. Vieles passiert hinter den Kulissen, z. B. die Überarbeitung der Geschäftsordnung oder das Aufstellen eines Finanzierungsplans als Voraussetzung, um ein eigenes Budget zu bekommen. Ein großer Teil unserer Arbeit ist auch, mit Leuten zu reden, zu gucken, wo sind Potenziale, wo können wir etwas erreichen.

Außerdem hat unser Social-Media Team einiges in Planung, z. B. den „Meme der Woche“-Tag. Und natürlich berichtet es immer über unsere Aktivitäten. Es lohnt sich also, uns auf Instagram zu folgen.

Haben Sie einen Rat für junge Menschen, die in ihrem Ort auch gerne ein Jugendgremium gründen möchten?

  1. Verbündete suchen, und zwar nicht nur Leute, die gerne mitmachen möchten, sondern am besten auch andere Jugendgremien der Region, z. B. den Jugendkreistag, wenn es einen gibt
  2. Rückhalt im Stadtrat sichern, es gibt immer jemanden, der das gut findet
  3. Nervig sein, in jedem Ausschuss, bei jeder Sitzung, dasitzen und am besten mehrere Leute mitbringen
  4. Pressevertreter ins Boot holen
  5. Man braucht im Team wenigstens einen Diplomaten, der immer nett ist, und jemanden, der kein Problem damit hat, sich unbeliebt zu machen

Jugendbeirat Wolmirstedt

E-Mail: jugendbeirat@stadtrat.stadtwolmirstedt.de

Instagram: @jb_wolmirstedt

http://jugendbeiratwolmirstedt.de/