10 Jahre Eigenständige Jugendpolitik in Sachsen-Anhalt: Standortbestimmung und Perspektiven

Am 5. November 2011 fasste die Mitgliederversammlung des Kinder- und Jugendringes Sachsen-Anhalt den Beschluss, sich für eine Eigenständige Jugendpolitik im Land stark zu machen. Der Landtag griff diese zentrale Forderung auf und beschloss am 13. Dezember 2012 die „Weiterentwicklung des jugendpolitischen Programms“. Zwei Legislaturperioden später, im Januar 2021, ist das gemeinsam mit Jugendlichen erarbeitete Papier in der Welt. „10 Jahre Eigenständige Jugendarbeit in Sachsen-Anhalt“ waren am 13. Oktober 2021 der Anlass, über Erreichtes und Perspektiven zu sprechen. Über 60 Akteurinnen und Akteure aus der Jugendarbeit bei freien Trägern, in Kommunen, in Politik und Verwaltung kamen in Magdeburg zusammen.

 „Keine Entscheidung mehr zu Lasten der jungen Generation. Keine Entscheidung, die junge Menschen betrifft, ohne eine Rückkopplung mit der jungen Generation. Keine Sonntagsreden, kein Brimborium – sondern eine konkrete Beteiligung.“ In einem starken Grußwort verdeutlichte der Kinder- und Jugendbeauftragte des Landes Sachsen-Anhalt, Holger Paech, dass es auf dem eingeschlagenen Weg kein Zurück mehr gibt. Egal ob Schulstandort, ÖPNV mit Bus und Bahn, Radwegenetz, neues Wohngebiet oder Wirtschaftsansiedelungen – der Blickwinkel von Kindern und Jugendlichen sei in jedem Fall Gold wert für eine in die Zukunft gerichtete Kommunalpolitik. Das betreffe nicht nur „ambitionierte Fachpolitik in einem Ressort“. Alle Ministerien müssten sich auf den Weg machen und ihre Vorhaben mit jungen Menschen entwickeln.

Partnerschaft zwischen Politik und Zivilgesellschaft in Sachsen-Anhalt

Der Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt („Jugend macht Zukunft“) und der Verein KinderStärken e.V. (Landeszentrum Jugend + Kommune) hatten zu einem länderübergreifenden Austausch in die „Villa Böckelmann“ nach Magdeburg eingeladen. Unter den Teilnehmenden waren auch Gäste aus Thüringen und Brandenburg. Heidi Schulze von jugendgerecht.de, die aus Bundesperspektive auf das Tagungsthema schaute, hob die Partnerschaft zwischen Politik und Zivilgesellschaft in Sachsen-Anhalt als Besonderheit hervor. Seit 2014 bewährt sich „Jugend Macht Zukunft“ als Partizipationsprojekt des Kinder- und Jugendringes Sachsen-Anhalt e.V. in Kooperation mit dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung als wirksames Werkzeug, um junge Menschen kontinuierlich zu beteiligen. Mit dem Landeszentrum Jugend + Kommune entstand 2017 auf Initiative und mit Förderung des Landes eine Kommunal- und Organisationsberatung für kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung.

Weitere Meilensteine zur Stärkung der Rechte junger Menschen in Sachsen-Anhalt sind Änderungen der Kommunalverfassung aus dem Jahr 2018. Im Paragrafen 80 ist die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen „bei Planungen und Vorhaben, die deren spezifische Interessen berühren“, festgelegt worden. Außerdem können Einwohneranträge bereits ab 14 Jahren gestellt werden (§ 25). „Jugendbeteiligung in den Kommunen nimmt zu und gewinnt als Haltefaktor an Bedeutung. Aber die Frage nach dem Wie ist oft schwierig “, stellte Benjamin Ollendorf, Geschäftsführer von KinderStärken e.V., fest.

Programme und Gesetze in der Praxis mit Leben füllen

Die Herausforderung, so wurde während der Tagung immer wieder deutlich, ist es, gute Programme und Gesetze in der Praxis mit Leben zu erfüllen. Das bedeute u. a., regelmäßig und transparent im Kontakt mit jungen Menschen zu sein, sie zu ermächtigen, ihre Rechte wahrzunehmen, Freiräume zu schaffen, Beteiligung als Querschnittsaufgabe zu verankern sowie breit aufzustellen und vor allem die nötigen Ressourcen dafür zu haben. Die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit und die Arbeit der Jugendverbände „brauchen dringend auf Dauer angelegt spürbar mehr Geld“, sagte Holger Paech.

Wie weit die Schere in Sachsen-Anhalt bei den Ressourcen und beim Verständnis von Jugendpolitik in Verwaltungen auseinanderklafft, trat u. a. bei einem Austausch über praktische Erfahrungen in den Kommunen zutage. Während Dana Melzer vom Familieninformationsbüro der Stadt Magdeburg über die positive Entwicklung des Beteiligungskonzeptes mit Kindern und Jugendlichen in der Landeshauptstadt sprach, schilderte Sozialarbeiterin Sabine Unze aus Barleben, wie sie allein auf weiter Flur für 1400 Jugendliche kämpft. Gute Ideen ließen sich aus Personalmangel nicht umsetzen und durch die Corona-Pandemie „fangen wir wieder bei null an“.

Die Pandemie zeigte auch, wie fragil die Errungenschaften sind. „Die Jugendbeteiligung kam zum Erliegen – wie vieles andere“, so Benjamin Ollendorf. „Aber auch in Krisenzeiten dürfen die Interessen junger Menschen nicht zu kurz kommen.“