Hansestadt Gardelegen – Fachkräfte

In Gardelegen wurde 2020 erstmals ein Jugendbeirat gewählt. Die Initiative entstand aus einem Projekt der Partnerschaft für Demokratie des Altmarkkreises Salzwedel heraus. PfD-Koordinatorin Anna Stein begleitete den Gründungsprozess und steht den Jugendlichen und der Kommune bei Bedarf weiterhin als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Sie beantwortete die Fragen des Landeszentrums Jugend + Kommune. Die Hansestadt Gardelegen ist 2022 eine von fünf Pilotkommunen. Ihr Projekt soll das Zusammenwachsen von Verwaltung und Stadt, Jugendbeirat und Jugendförderungszentrum vertiefen.

Seit wann beschäftigte sich die Hansestadt Gardelegen mit der Idee eines Jugendgremiums und wie ist der Jugendbeirat entstanden?

Gardelegens Bürgermeisterin signalisierte schon 2016/2017, dass sie sehr offen für ein Jugendgremium ist, aber sie wollte den Jugendlichen nichts diktieren. Das Thema wurde auch immer wieder in Gesprächen benannt, kam aber nicht in die Umsetzung. 2019 haben wir dann die Klassensprecher aller Schulen und ihre Stellvertreter zu einer Jugendkonferenz ins Rathaus eingeladen und mit etwa 40 Jugendlichen angefangen, etwas zu den Themen Beteiligung zu erarbeiten: Wo engagiert ihr euch? Was sind eure Wünsche? Durch Corona kam dieser Prozess jedoch zum Erliegen. Parallel lief noch ein anderes Projekt, das wir über „Demokratie leben!“ gefördert haben, darin wurden Jugendmoderatoren ausgebildet. Die Jugendlichen konnten sich selber Projekte überlegen, die sie mit einer professionellen Begleitung verfolgen möchten. Und da war eine Gruppe von drei jungen Frauen aus Gardelegen dabei, die für ihre Stadt ein Jugendparlament gründen wollten. Sie hatten schon sehr konkrete Vorstellungen zur Wahl und Aufstellung dieses Gremiums und auch den Vorschlag einer Geschäftsordnung. Damit sind sie natürlich bei der Bürgermeisterin auf offene Ohren gestoßen, die ja genau auf so eine Initialzündung gewartet hatte.

Wie ist es gelungen, junge Menschen zu gewinnen, die im Jugendbeirat mitarbeiten?

Die drei Gründerinnen haben trotz Corona ihre Idee in jeder Schule vorgestellt und Kinder und Jugendliche ermutigt, sich für den Jugendbeirat aufstellen zu lassen. Sie teilten Gardelegen in 12 Wahlkreise auf und fanden genau 12 Kandidatinnen und Kandidaten. Um möglichst viele Jugendliche zu erreichen, entschieden sie sich für eine Briefwahl. Die Kommune hat sie dabei unterstützt, aber entwickelt und umgesetzt haben die jungen Frauen alles selbst. Es reicht nicht, in der Schule ein Plakat im Flur auszuhängen: Wollt ihr im Jugendparlament Mitglied werden? Man will ja auch nicht nur die erreichen, die sich sowieso schon für Politik interessieren und sich engagieren, sondern eine möglichst heterogene Gruppe.

Wie konnte die Partnerschaft für Demokratie diesen Prozess begleiten und unterstützen?

Mit den Gründerinnen habe ich am Anfang ganz eng zusammengearbeitet, sie persönlich bei den ersten Schritten begleitet und auch durch das Jugendbotschafter-Projekt war ein intensiver Austausch möglich. Organisiert haben sie alles aber im Endeffekt selbst. Das Finanzielle lief über uns, wenn z.B. Flyer gedruckt werden mussten oder sie für eine Informationsveranstaltung einen Raum, Verpflegung und eine Moderation brauchten. Nach der Wahl gab es ein Workshop-Wochenende für die frisch gewählten Mitglieder des Jugendbeirates, damit sie sich kennenlernen.

Die PfD hat genug finanzielle Mittel, um Projekte von Jugendlichen zu unterstützen, Jugendbeteiligung ist eines unserer Hauptthemen. In Sachsen-Anhalt gibt es in jedem Kreis eine Partnerschaft für Demokratie und jede hat ein eigenes Jugendforum mit einem Budget von mindestens 10.000 Euro pro Jahr. Die Hansestadt Gardelegen übernahm aber auch bei den Finanzen von Anfang an Verantwortung und hat mit einem Stadtratsbeschluss entschieden, dem Jugendparlament ein eigenes Budget zu geben. Das ist wichtig, damit so ein Projekt nachhaltig weitergeführt werden kann, und es zeigt, dass die Kommune ebenso hinter dem Projekt steht.

Wir haben noch immer miteinander zu tun, aber ich agiere als Begleitung im Hintergrund. Als PfD unterstützen wir nach Bedarf. Wenn alles in Ordnung ist und keine Unterstützung gebraucht wird, ziehen wir uns auch wieder zurück.

Wo wurde am Anfang vor allem Hilfe gebraucht?

Vor allem bei verwaltungstechnischen Dingen, z. B. bei der Satzung, das brauchte sehr viel Abstimmung mit der Kommune. Die Gründerinnen hatten alles schon vorformuliert, sind selbst aber nicht Teil des Gremiums geworden, weil sie nach dem Abitur zum Studieren die Region verließen. Die Jugendlichen, die dann gewählt wurden, mussten sich also erstmal mit den Strukturen anfreunden, die andere für sie erarbeitet haben. Sie hätten auch alles nochmal über den Haufen werfen können. Corona hat natürlich vieles schwieriger gemacht, vor allem, dass sie sich als Gruppe finden, ihre Projekte umsetzen und auch die Öffentlichkeitsarbeit und Sichtbarkeit voranbringen.

Wo lagen die größten Hürden? Wie konnten sie gemeistert werden?

Es ist traurig, wenn junge Leute anfangen, aktiv zu werden, sich etwas zu überlegen und dann wegen Kleinigkeiten kritisiert werden. Jugendbeteiligung, überhaupt Bürgerbeteiligung, hat sehr viel mit Kommunikation und mit Wertschätzung zu tun. Ich weiß, dass die Bürgermeisterin immer Partei für die Jugendlichen ergriffen hat. Ohne einen Fürsprecher in den Gremien geht es nicht. Man muss versuchen, am Anfang eine Sensibilisierung dafür in den Ausschüssen und in den Ämtern hinzubekommen.

Bei einer Stelle wie meiner gehört es auch immer dazu, zu vermitteln, damit ein bisschen Verständnis für beide Seiten entsteht. Wenn ich aus Verwaltungssicht höre: „Die kommen ja immer nicht“ und von den Jugendlichen: „Die Themen interessieren uns nicht, wir finden uns da nicht wieder“, dann würde ich sagen, beide Seiten müssen an sich arbeiten. Auf jeden Fall könnten die Jugendlichen regelmäßig über ihre Projekte informieren. Das würde dazu führen, dass der Stadtrat sieht, wie aktiv sie sind. Und der Stadtrat könnte den Jugendbeirat als festen Punkt auf die Tagesordnung setzen, dann würden sie sich dort auch wiederfinden zum Beispiel.

Ein großes Manko für die Arbeit des Jugendbeirates sind neben den Einschränkungen durch Corona auch die Entfernungen – Gardelegen ist die flächenmäßig drittgrößte Stadt in Deutschland. Wenn sie etwas in Gardelegen planen, erreichen sie abends nur die, die dort wohnen. Welcher Bus fährt dann noch? Einen geeigneten Ort und einen geeigneten Zeitraum zu finden, ist auf dem Land viel schwieriger als in der Stadt.

Was hat die Hansestadt Gardelegen durch die intensivere Beteiligung junger Menschen gewonnen?

Ein Gremium, auf das sie immer zurückgreifen kann für Themen, die junge Menschen betreffen, für Fragen, für Ansprechpartner. In der Politik wird viel über die Zukunft gesprochen. Und das ist ja die Zukunft der Jugendlichen, deshalb ist es sehr wichtig und gut, auch die Perspektiven der Jugendlichen zu hören und einfließen zu lassen. Jugendbeteiligung kann jetzt gemeinsam mit einem Jugendparlament geplant und umgesetzt werden. Das ist der Gewinn und das ist unser Ziel gewesen. Es hat ja auch etwas mit Identität zu tun. Die Stadt hat einen Stadtrat und sie hat einen Jugendbeirat. Das gehört mit zum politischen Geschehen und darauf kann man stolz sein.

Haben Sie einen Rat für Kommunen, die ihre Kinder und Jugendlichen besser beteiligen möchten?

Wenn es Jugendliche gibt, die ein eigenes Gremium wollen, dann kann man am besten gleich mit festen Strukturen unterstützen. So hat es ja auch in Gardelegen funktioniert. Ansonsten würde ich es langsam angehen. Das Jugendparlament sollte das Ziel eines Prozesses sein und nicht der Ausgangspunkt. Man könnte z.B. mit einer Jugendkonferenz beginnen, dann zu regelmäßigen Treffen übergehen und irgendwann die Frage stellen: Wollen wir den nächsten Schritt gehen, was haltet ihr davon? Flexibel bleiben, attraktiv sein, die Wünsche aufnehmen und für Erfolgserlebnisse sorgen. Das ist nicht leicht. Man braucht auch Multiplikatoren, die den Prozess mit unterstützen. Es gibt da keinen Plan, der übertragbar ist. Die Jugendlichen interessiert natürlich auch ihr eigener Mehrwert: Was habe ich davon, wenn ich da mitmache? „Du kannst deine Kommune mitgestalten“ – darunter können sie sich oft nichts konkret vorstellen. Dazu muss man viel Übersetzungsarbeit leisten.